Sprachliches Zeichen und Semantik

Semantik

 

Die Analyse der inhaltlich-konzeptuellen Seite der Sprache und der Zuordnungsversuche von Bedeutung zu den von der Linguistik erarbeiteten Strukturen (vom bedeutungsdifferenzierenden Phonem über die bedeutungstragenden Morpheme über die Syntagmen zu größeren Texteinheiten) beschäftigt die Semantik.
Der frühe Strukturalismus vertrat die Auffassung,  Bedeutung sei ebenso formal segmentierbar wie die Ausdrucksseite der Sprache. Das Semantem, das semantische Merkmal, habe ähnlich "atomaren" Charakter wie die Merkmale des Phonems und des Morphems. Man versuchte für jedes Morphem und Lexem semantische Merkmale zu finden, die es eindeutig kategorisierten. Besonders die strukturalistische Semantik und die frühe generative Grammatik mit ihren Subkategorisierungsmerkmalen haben hier Theorien entwickelt, die sich im Verlauf der Zeit als wenig effizient erwiesen haben. Um ein Verb wie frz. tuer semantisch zu subkategorisieren, waren die semantischen Merkmale "plus verursachen, plus existieren, minus lebendig" nötig, eine Systematik, die sich schnell ad absurdum führen ließ.   
In der Dependenzgrammatik und der aktuellen Computerlinguistik spielen Semantiktheorien eine wichtige Rolle, wobei die aktuellen Versuche der verschiedenen Unifikationsgrammatiken in den semantischen Komponenten meist eine über Parameter zu leistende Ergänzung von lexikalischen Elementen ansehen. Dabei steht die Erkenntnis im Vordergrund, dass  ein  semantisches Rechnen auf syntaktischer  Grundlage idealiter nur möglich ist, wenn es weltwissensbasiert ist. Die formalen Möglichkeiten der Computerlinguistik haben die Komplexität semantischer Analyseprozesse anschaulich gemacht.

Allgemein akzeptierte Analyseunterscheidungen der Semantik

 

Die bisherige Beschäftigung mit der Semantik hat neben den wesentlichen Erkenntnissen, dass es z.B. eine textlinguistische und eine pragmatische  Komponente (z.B. die Sprechakttheorien) neben der reinen Semantik gibt,  einige allgemein verbreitete Analyseunterscheidungen hervorgebracht. Dazu gehören die syntagmatischen und paradigmatischen Beziehungen der Semantik (die man auch in der Syntax findet), die Struktur von Wortfeldern (aus der strukturalistischen Semantik), die semantische Organisation des Wortschatzes und die Unterscheidung zwischen Denotation und Konnotation   

Syntagmatische und paradigmatische Beziehungen

Die Wörter unseres Lexikons unterliegen zahlreichen Selektionsbeschränkungen, die etwas mit der syntagmatischen Struktur ihrer Bedeutung zu tun haben. Es gibt Affinitäten von bestimmten Strukturen zueinander. In den romanischen Sprachen haben etwa die Verben, die semantisch eine durative Aktionsart beinhalten, in der Vergangenheitstufe eine Affinität zum imperfektiven Aspekt (z.B. imparfait, imperfetto). Verben, die semantisch eine telischen Aktionsart (ein Ziel, eine Ende) beinhalten, tendieren zum perfektiven Aspekt (passé composé bzw. passé simple ).

La guerre durait trente ans. (durative Aktionsart + imperfektiver Aspekt; am häufigsten)

Il s´est noyé dans la piscine (telische Aktionsart + perfektiver Aspekt; am häufigsten)   

Affinität und tendieren bedeutet nicht, dass die Sprache nicht doch die Möglichkeit besitzt, ein duratives Verb mit dem perfektiven Aspekt und ein telisches Verb mit dem imperfektiven Aspekt zu verbinden: 

La guerre dura trente ans. (durative Aktionsart + perfektiver Aspekt, selten)

Si quelqu´un se noyait et fut sauvé, est-ce qu´il est mort? Non! (telische Aktionsart + imperfektiver Aspekt, selten)

Die Selektionsbeschränkungen sind abhängig von syntagmatischen (textlinguistischen, satzübergreifenden) Kriterien.

Syntagmatische Selektionsbeschränkungen liegen etwa bei Wörtern wie krähen, bellen  vor, die fast immer im Zusammenhang mit dem Hahn, Hund vorkommen, aber (selten) auch anders gebraucht werden können. 

Paradigmatische Selektionsbeschränkungen liegen bei Wörtern vor, die dieselbe Stelle im Satzparadigma einnehmen können/müssen. Dies wurde bereits im Kapitel Morphologie deutlich und ist von Bedeutung für die Ermittlung syntaktischer Strukturen im Rahmen der Konstituentengrammatik
 

Wortfelder



Die Wortfeldlehre ist vor allem von der strukturellen Semantik entwickelt worden und besitzt noch heute weitreichende Bedeutung für die Organisation des Lexikons. Wenn man zum Beispiel versucht, das Wortfeld für dt. "gehen" zu beschreiben, müssen alle Lexeme, die etwas mit dem Vorgang des Gehens zu tun haben, durch semantische Merkmale differenziert werden. Diese ermittelt man durch den Vergleich und die Kategorisierung aller Lexeme, die zusätzlich zu den differenzierenden Merkmalen das semantische Merkmal "Fortbewegung mit den Füßen" gemeinsam haben: gehen, laufen, rennen, schreiten, humpeln, etc. Auf diese Weise kommt man zu einer umfassenden Übersicht über die Struktur des Wortfeldes und über die Kriterien der semantischen Differenzierung. Diese Analysen sind  für Differenzierungsvorgänge beim Spracherwerbsprozess (L2, L3, etc.) und in der Dolmetscherausbildung  besonders wertvoll, da die lexikalischen Inventare verschiedener Sprachen  hier oft große Unterschiede in ihrer Organisation aufweisen.

Von erheblicher Relevanz wurden Wortfeldstudien, die ihm Rahmen historischer und soziolinguistischer Fragestellungen vorgenommen wurden. Als Musterbeispiel mag das Wortfeld "Frau " im weiteren Sinne und die damit verknüpften Berufsbezeichnungen in der Romania dienen. Auffallend sind dabei vor allem die sozialhistorischen - oft diskriminierenden - Asymetrien zwischen Mann und Frau. Musterbeispiel ist hierfür der Vergleich der frz. Termini femme und homme:

homme Mensch allgemein                  femme  ------
Mensch, männlich Mensch, weiblich
Mensch, weiblich, verheiratet

Bereits im (vulgär-)lateinischen System zeichnet sich die maskuline soziale Dominanz und die damit verbundene diskriminierende Asymetrie ab, die romanischen Sprachen entwickelten dies weiter:  

homo     Mensch allgemein      femina Mensch, Tier, weiblich        fr.femme, sp.hembra (Tierweibchen), 
    Mensch, männlich mulier Mensch, weiblich  sp.mujer, it.moglie
vir     Mann uxor Mensch, weiblich, verheiratet
*familia Frau=Familie rum. femeie
senior

    Mensch, männl., älter

*seniora Ableitung von senior it. signora, -ina, sp.señora,-ita 
dominus     Herr, Herrscher, Gott domina Ableitung von dominus it. donna, sp.doña, dona
sex. Konnotation dt. Domina

Die romanische Sprachgeschichte offenbart eine Vielzahl solcher Asymetrien und offenbart dabei sozialgeschichtliche Bezüge. Es waren vor allem die "gender studies" in USA und die parallelen Forschungen dazu in Frankreich (Marina Yaguello) und in Deutschland (Tröml-Plötz, Christine Bierbach), die semantische Wortfeldstudien dazu nutzten, die in der Sprache ausgedrückte Diskriminierung der Geschlechter in das Blickfeld öffentlichen Interesses zu rücken. Die bis ins 20. Jahrhundert männlich dominierte Berufswelt und das damit verbundene berufsbezeichnende lexikalische Inventar dokumentiert deutlich die Zusammenhänge zwischen Sprache und Gesellschaft und verwies auf die Notwendigkeiten, hier Änderungen zum Abbau von Diskriminierung ("Mme le [!!] Président ") und Herstellung der Gleichberechtigung der Geschlechter herbeizuführen.

 

Denotation  und Konnotation

Die Denotation erlaubt die Identifizierung des Referenzworts mit der zentralen Bedeutungskomponente. Jedoch kann bei jeder Denotation auch eine Konnotation virtuell vorhanden sein, die kultur- oder sozialspezifisch die zentrale Bedeutung um eine emotionale oder eine andere Komponente erweitert. Im Zeitalter der political correctness entwickelt man zunehmend vermeintlich wertfreie Termini, die solche ersetzen, die durch Konnotation belastet sind. Das rumänische Wort ţigan ist die Bezeichnung für die zweitgrößte ethnische Minderheit in Rumänien und wurde bis in die 80er Jahre mit dem deutschen Wort Zigeuner wiedergegeben. Dieser Ausdruck hat zahlreiche Konnotationen im Deutschen, die nicht zuletzt mit der Verfolgung der ethnischen Gruppe während des Faschismus, aber auch mit der Pejorisierung der Ethnie in der Nachkriegszeit zu tun hat. Die Konnotationen, die mit dem Ausdruck Zigeuner heute im Deutschen einhergehen, entsprechen nicht mehr der political correctness des 21. Jahrhunderts. Man verwendet daher heute im Deutschen Ausdücke wie Roma und Sinti, um negative Konnotationen zu vermeiden. Diese Form der political correctness ist (noch) nicht überall in der Romania üblich. Die Konnotationen zu dem Terminus sind in Rumänien anders strukturiert, beinhalten aber ebenfalls pejorative Elemente. Konnotationen sind deshalb nicht automatisch transkulturell, sondern müssen im Kontext der jeweiligen Sprache und ihrer Gesellschaft gesehen und analysiert werden. Häufig geben sie Anlass zu Missverständnissen: man vergleiche die Konnotationen von dt. Kollaboration und frz. collaboration.

 

  zurück zur Textauswahl
  zur nächsten Seite