Die ersten Notationssysteme erscheinen an den Orten, wo
die ökonomischen Voraussetzungen für eine Hochkulturentwicklung gegeben
sind: an fruchtbaren Flussoasen. Die Kulturen zwischen Yang-Tse und Gelbem
Fluß in China, die Harappa-Kultur in Indien, Mesopotamien, die
ägyptische Niltalkultur, die Flussoasenkulturen an der sonst
wüstenhaften peruanischen Costa mögen als prägnante Beispiele hierfür dienen.
Für die europäische Kultur wurden vor rund
fünftausend Jahren zwei Bereiche prägend: Mesopotamien und Ägypten.
Hier liegt die Wiege unserer europäischen Schriftsysteme, während in China
offensichtlich parallele Prozesse stattfanden.
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Bilderschriftliche Urform von Schriftsystemen
Es
gilt als wahrscheinlich, dass die piktographische Darstellung am Anfang
der Entwicklung steht. Etymologien verschiedener alter Sprachen
bestätigen oder geben Hinweise auf die ursprüngliche Identität von
Malen und Schreiben. Die reine Bilderschrift scheint die Urform der
Schrift gewesen zu sein. So kann man etwa das Zeichen für Sonne im
Altchinesischen ebenso wie im Altägyptischen auf eine Darstellung der
Sonnenscheibe zurückführen. Frühe Schriften scheinen auch durchaus
interkomprehensiv im transdialektalen Sinne gewesen zu sein. Erst die
militärische Expansion der Hochkulturen und der damit verbundene
zwangsläufige Kontakt mit anderen Sprachen und Kulturen machen es nötig,
sprachlich gebundene Schriften zu entwickeln, die mit Hilfe von
Lautzeichen die hörbare Sprache darstellen können und damit in die
Lage versetzt werden, erobertes Fremdes zu integrieren.
Zunächst sind es Namen von Provinzen, von fremden Personen,
Herrschern und Göttern, von anderen Waffen und Zivilisationsprodukten,
später aber sind es auch die fremden Sprachen selber, die
wiedergegeben werden.
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Schminckpalette des Narmer ca. 2955 v.Chr. | Die
Schmickpalette des Narmer ist ein gutes Beispiel für das Entstehen von
Schrift aus Piktogrammen. Zur Zeit des Narmer war die ägyptische Schrift
schon lange ausgeprägt, aber wir finden hier Symbole, die auf einen
älteren Entwicklungszustand hindeuten. Die Vorderseite zeigt als
"Überschrift" zwischen zwei Hathorköpfen den Horusnamen des Königs
innerhalb seiner Palastfassade. Die eigentliche Palette berichtet über
Feldzüge des oberägyptischen Königs gegen Unterägypten. Im oberen Feld
wird der König gegenüber seinen getöteten Feinden gezeigt (vergrößern Sie
das Bild per Mausklick), in der Mitte sieht man Fabeltiere, unten rennt
der Pharao in Gestalt eines Stieres mit den Hörnern gegen eine Stadtmauer.
Die Rückseite stellt den Sieg des oberägyptischen Königs über Unterägypten
dar. Er erschlägt symbolisch die Feinde. Sechs Völker (6 Papyrusdolden)
sind gefangen und werden gefesselt durch Horus (=den Pharao) geführt.
Unten sieht man zwei Feinde, deren Herkunftsort durch Hieroglyphen
bezeichnet wird. |