Romanische Sprachen in Europa

Sprache, Dialekt, Varietät
 

Prinzipiell lässt sich linguistisch jede bedeutungstragende Äußerung eines Menschen als Sprache bezeichnen, wenn er damit mit einer Gruppe von Mitmenschen systematisch kommuniziert. Doch in fast jedem Land gibt es Sprachen, die es offziell (etwa im Bildungssystem) nicht gibt oder geben darf. In Deutschland besitzen etwa die sogenannten Dialekte nicht denselben Status wie die Hochsprache. Polemisch hat einmal jemand den Dialekt als eine "Sprache ohne Militär" bezeichnet. Völlig abwegig ist diese Aussage nicht, denn außersprachliche Phänomene beeinflussen und verzerren die linguistische Diskussion. Manche Leute vermeiden den Konflikt und benutzen den Ausdruck "Idiom", wenn es um nicht anerkannte "Varietäten" einer Sprache geht. In der heutigen Linguistik ist der Ausdruck Sprache (fr. langue) der allgemein übliche. Unter Dialekt versteht man eine (historische) Subvarietät, die sich einer Sprache zuordnen lässt. Varietät ist der Ausdruck, der üblicherweise benutzt wird, wenn man Abweichungen von einem zuvor definierten Standard (z.B. Hochsprache) meint. Der Ausdruck Varietät versteht sich als wertneutral und unterliegt nicht der historischen Polemik, die mit Ausdrücken wie Dialekt und (Hoch)sprache allzu oft verbunden wird. Die Dimensionen der sprachlichen Varietäten können nicht nur synchron beschrieben werden, sondern auch im Hinblick auf ihren diachronen Wandel. Eine Übersicht über die Variationsdimensionen gibt am besten das Schema in Berschin, Felixberger, Goebl, Französische Sprachgeschichte, München 1978, S. 14.

 

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Sprachen im Kontakt

Autochthone ("bodenständige") Sprachen geraten im Kontakt mit der Sprache der Eroberer meist in die Lage unterdrückter Sprachen. Beispiele aus der Neuen Romania belegen dies in vielen Facetten. "Es gibt keinen Sprachkontakt ohne Konflikt" konstatiert der Brüsseler Linguist Peter Nelde, nach dem die einleuchtende Maxime "Neldes law" genannt wird. Mit der Eroberung und Expansion des Imperium Romanum kommen die Armeen der  Invasoren gefolgt von ihrer Zivilverwaltung, ihrem Rechtsystem und den siedelnden Veteranen in Kontakt mit den jeweiligen autochthonen Sprachen der Region. Diese Sprachen - auch wenn sie über verschiedene Etappen hinweg allmählich verdrängt werden - hinterlassen ihre Spuren in den gesprochenen Varietäten des Protoromanischen. Man spricht von Substratsprachen, wenn sie verdrängt worden sind, von Adstratsprachen, wenn sie parallel im Kontakt weiterexistierten, man spricht von Superstratsprachen, wenn sie - wie das Fränkische - zu einem späteren Zeitpunkt das koloniale Produkt des Protoromanischen beeinflusst und geprägt haben.
In der heutigen europäischen Romania gibt es in den jeweiligen romanischen Ländern (mit Ausnahme von Portugal)  keine romanische Sprache, die nicht im Kontakt mit anderen Sprachen steht. In Spanien gibt es neben dem Spanischen (castellano, Kastilisch) das Galicische (galego), das Katalanische (català), das Baskische (euskara) und das Andalusische (mit unsicherem Status). Substratsprachen wie das Iberische sind verschwunden, das Baskische, eine vormittelmeerische Sprache des Landes, hat den römischen Sprachkolonialismus überlebt und wird in Spanien und Frankreich gesprochen. Das Arabische, das als Superstrat der islamischen Eroberer Adstrat wurde, hat Spuren in der Lexik der Iberoromania hinterlassen, um schließlich nach dem 15. Jh. selbst das Schicksal der Substratsprachen zu erfahren.

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Frankreich kennt neben dem aus den Franzischen, einem der zahlreichen altfranzösischen Dialekte, hervorgegangenen Französisch, mit dem eine zentralistische Sprachenpolitik betrieben wurde, das Baskische an der südwestlichen Atlantikküste und in den Pyrenäen, das Katalanische im Roussillon, das Okzitanische (auch Provenzalisch genannt) im Midi, das Deutsche (in seiner elsäßischen Dialektalform) im Osten, das Bretonische, eine nicht völlig verdrängte keltische Sprache in der Bretagne, die ihren nächsten Verwandten im Südwesten der britischen Insel hat und das Flämische an der Nordgrenze des Landes.
Belgien ist ein dreisprachiges Land, in dem neben Französisch und Flämisch in der Grenzgegend zu Deutschland auch das Deutsche offizielle Sprache ist.
Die Schweiz ist ein Land mit mehreren romanischen Sprachen (Italienisch, Französisch und Rätoromanisch (Bünderromanisch). Rätische Substrate der Schweiz prägten etwa die Zählweise der Frankophonen ("nonante") ähnlich wie die von Caesar her bekannten Belgae die keltische Zählweise des Französischen (4x20= quatre-vingt) nicht annahmen, sondern das römische octante, oder sogar huitante entwickelten.
Italien, gilt als das dialektal am stärksten gegliederte Land der europäischen Romania, wobei die Dialekte des Nordens stärker der südlichen Galloromania ähneln, Substrate der Ligurer, Veneter und Etrusker finden sich ebenso wie andere Kontaksprachen in Mittelitalien und im Bereich der süditalienischen Dialekte. Das Sizilianische hat eine eigenständige Entwicklungstradition ebenso wie das Sardische und die Sprache Korsikas.
In Rumänien und Moldawien findet man das Dakorumänische im Kontakt mit zahlreichen nicht-romanischen Sprachen. Reste der übrigen drei rumänischen Dialekte finden sich auf dem Balkan.           .

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