Grapheme und OrthographieOrthographie
Die modernen Sprachen unterliegen in ihrer schriftsprachlichen Tradition meist institutioneller Überwachung. In Frankreich spielt dabei der bon usage des bons auteurs (Grevisse) neben der Akademie eine entscheidende Rolle. Es gibt aber auch eine ganze Reihe von bewusst herbeigeführten (staatlich gelenkten) Reformen. Die jüngste Reform innerhalb der romanischen Sprachenfamilie ist nach dem Ende der kommunistischen Diktatur in Rumänien durchgeführt worden. Diese Reform betraf in der Substanz nur die Schreibweise î für das zuvor übliche romanische â. Im Nachbarland, der Republik Moldau, wurde das unter der kommunistischen Herrschaft übliche kyrillische Alphabet ersetzt durch die zuvor gültige romanische Schreibtradition in Anlehnung an die aktuelle Reform in Rumänien. Im 20. Jahrhundert wurde Orthographie zunehmend unter nationalen, nationalistischen und sozialdifferenzierenden Kriterien gesehen. Das korrekte, d.h. orthographisch einwandfreie Schreiben entwickelte sich zu einer Kulturtechnik, die den sozialen Aufstieg begleitete und die durch ihre simple Messbarkeit zum Kriterium für Bildung wurde. Auf die Spitze getrieben wurde dies etwa in Frankreich mit den berühmten Zentraldiktaten, in denen kaum ein Muttersprachler die Chance hatte, fehlerlos zu reüssieren. In der deutschen Wirtschaft wurden orthographische Kenntnisse zunehmend als selektive Einstellungskriterien angesehen, was in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts teilweise zu erstaunlichen Umkehrungen in der Hierarchie führte, frei nach dem Motto "Die Sekretärin braucht Rechtschreibung, der Chef nicht, denn er diktiert".
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Bewertungsveränderungen durch elektronische KorrekturprogrammeDie heutigen Textverarbeitungssysteme haben das Schreiben verbessert und beschleunigt. Die soziale Distinktion, die zu grotesken außersprachlichen Folgerungen geführt hat, ist heute weitgehend irrelevant, da die Wertigkeit von orthographischer Korrektheit und damit Fehlerbeurteilung anderen Kriterien unterliegen. Ein Korrekturprogramm kann heute orthographische Fehlleistungen weitgehend ausschalten. Orthographische Korrektheit ist nach wie vor ein Postulat, wird aber - bildungsunabhängig - allen Textverfassern verfügbar gemacht.
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In Frankreich wird Orthographie nach wie vor - trotz der Verfügbarkeit von Korrekturprogrammen - als nationaler Sport in den Bildungsinstitutionen betrieben. Dies mag an der Herausforderung liegen, die auf dem Unterschied zwischen den beiden Codes beruhen, es mag aber auch an der Lust zum akademischen Wettbewerb im französischen Bildungssystem liegen. Alljährlich gibt es ein neues landesweit verbreitetes Diktat, an dem sich sportliche Geister messen, ohne dass die orthographisch perfekte Lösung erreicht wird. Bernard Pivot, einer der bekanntesten Fernsehjournalisten Frankreichs ("Bouillon de culture ") hat sich das erste der beiden Dictée-Beispiele ausgedacht. Pierre Perret hat darüber ein Lied produziert, das man sich mit dem unten angegebenen Lied aus dem Internet downloaden kann. Dictée piégée pour lycéens - 1 Dictée piégée pour lycéens - 2 Den Text der beiden Originaldiktate von Jean-Eudes Gadenne hier ansehen.Zum Download: das Lied von Pierre Perret über Bernard Pivot:http://languefrancaise.free.fr/images/reflexion/pierre_perret_bernard_pivot.mp3Links zur Orthographie in Frankreich:http://www.portail.lettres.net/j__grammaire_et_orthographe.htm http://mapage.cybercable.fr/mp2/index.htm http://languefrancaise.free.fr/reflexion/liens_orthographe.htm Bréviaire d´orthographe françaisehttp://mapage.cybercable.fr/mp2/index.htm
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